Eine optimistische Zukunftsforschung: Wissen, was wird

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Die drei voneinander abhängigen Zeiten verfügen jeweils über einen eigenen Zeitgeist. Man kennt zwar nur die vergangenen und gegenwärtigen Ereignisse; sie liefern aber treffende Anzeichen für die kommende Entwicklung. Durch die Analyse des Ist-Zustandes und seiner Bedingungen kann man die Entwicklungen in der näheren Zukunft besser einschätzen.

Genau das tut Horst Opaschowski in seinem neu erschienenen Buch „Wissen, was wird – Eine kleine Geschichte der Zukunft Deutschlands“ (Patmos Verlag).

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Wie soll man mit sozialen und technologischen Entwicklungen und Errungenschaften in Zeiten des Umbruchs umgehen? Opaschowski (Kurator und Mitglied der Expo 2000) sucht Antworten auf Fragen, die viele Menschen beschäftigen, und gibt Antworten, die, meiner Meinung nach, eine gute Orientierungshilfe sein können.

Wenn es um die Orientierung geht, denke ich natürlich in erster Linie auch an Muslime. Für sie hat das Buch einen anderen Stellenwert, nämlich in dem Sinne, dass sie generell eher rückwärtsgewandt denken als reformorientiert und zukunftsgestaltend. Die Zukunft erscheint ihnen verborgen, und sie wissen nicht, wie und warum man sich über Ungewissheiten Gedanken machen soll. Die Lösung aller Probleme wird im Allgemeinen in vergangenen, idealisierten Zeiten gesehen.

Nach Opaschowski sind aber für zukunftsgestaltende Lösungen empirische Studien und wissenschaftliche Ergebnisse maßgebend, nicht die Prophetengeschichten in heiligen Büchern.

Wirft man einen Blick auf die Überschriften der 11 Kapitel des Buches, kann man sich ein Bild machen von der Vielfalt der Aspekte, die in seine Überlegungen einfließen: Herkunft, Ankunft, Zukunft (1); Westdeutsch, Ostdeutsch, Gesamtdeutsch (2); Migration, Integration, Zusammenhalt (3); Mensch, Natur, Technik (4); Familie, Freunde, Wahlverwandtschaften (5); Leben, Ziele, Konzepte (6); Jugend, Alter, demokratischer Wandel (7); Arbeit, Wohlstand, Wohlergehen (8); Digitalisierung, Roboter, KL (9); Krisen; Ängste, Sorgen (10); Werte, Wandel, Visionen (11).

Opaschowski gelingt es, nach seiner fünfzigjährigen beruflichen Lebenserfahrung und Beobachtung einen Gesamtüberblick zu verschaffen, obwohl ich ein Paar Beispiele von den gegenwärtigen Entwicklungen, die er nicht ganz voraussehen konnte, vermisse.

Natürlich wirkt Optimismus immer positiv. Die individuellen, sozialen und wissenschaftlichen Entwicklungen stellt er sehr prägnant dar, so dass man sie mit eigenen Erfahrungen abgleichen und ihm in vielen Punkten zustimmen kann.

Opaschowski spricht Menschen, Familien und auch die Politik mit klaren Zielrichtungen an.

Hier ein paar konkrete Beispiele:

Bei der EXPO 2000 stützt sich die konzeptionelle Gestaltung des Themenparks bewusst auf Lebensbereiche, die auch für die Lebensqualität bestimmend sein werden: Der Mensch; die Umwelt: Landschaft/Klima; Grundbedürfnisse; die Ernährung; die Gesundheit; die Energie; Wissen: Information, Kommunikation; die Mobilität; die Zukunft der Arbeit.

Wie kann der Mensch sein Leben in diesen Bereichen meistern? In allen Lebensphasen spielt Selbstständigkeit eine zentrale Rolle. Opaschowski hebt das frühe Erwachsenenalter hervor. Demnach zählen dazu die zentralen Themen sowie Lebensbereiche Kindheit, Jugendzeit, Ausbildung, Familiengründung und Berufsphase. Junge Erwachsene müssen hierbei die Weichen für ihr Leben stellen, beruflich und auch ganz privat. Eine falsche Entscheidung in gerade dieser Lebensphase kann folgenreich für das ganze Leben sein. Dies gilt insbesondere für die Ausbildung und den Einstieg in den Beruf.

Interessant sind Opaschowskis Perspektiven in Bezug auf die Entwicklung der Migration in Deutschland. Ihm zufolge bleibt die Zuwanderung eine große Herausforderung. Die Erfahrungen der letzten 50 Jahre legen nahe, dass aus der Zuwanderung eine Kettenwanderung wird: Die Zugewanderten wollen dauerhaft bleiben und Familien, Verwandte und Freunde nachfolgen lassen. Die nächsten Jahrzehnte müssen ihm zufolge zu einem Zeitalter der Integration werden. Deutsche müssen keine Angst vor Fremden haben: Am Ende eines längeren Anpassungsprozesses wird der Wunsch nach Gemeinsamkeit größer sein als das Bedürfnis nach Abgrenzung.

Dabei sagt Opaschowski selbstkritisch: „Wir Europäer, die oft über zu viel Zuwanderung klagen, sollten uns in Erinnerung rufen, dass wir selbst jahrhundertelang an Zuwanderungsbewegungen beteiligt waren: Im Rahmen der Kreuzzüge wanderten Europäer in den Orient. Im Rahmen des Siedlungskolonialismus wanderten Europäer nach Amerika, Afrika und Australien. Noch vor gut 100 Jahren im Jahr 1890, stellten die Deutschen 30 % der amerikanischen Bevölkerung.“

Weiterhin schreibt er der Familie eine große Bedeutung zu. In Zukunft soll sich die Suche nach Halt, Heim und Heimat verstärken. Die Familie garantiert demzufolge Ansehen und soziale Sicherheit, was kein Prestigeberuf und auch kein Sozialstaat bieten können.

Über den Umgang mit der digitalen Welt stellt er fest, dass die Menschen mit der Zeit vom Tempowahn, den die multi-mediale Welt erfordert, Abschied nehmen werden. Denn „Sozialforschungen weisen nach, dass die intensive Multi-Media-Nutzung in der privaten Lebensgestaltung keine realen Zeitspareffekte bietet, sondern viel mehr entgegengesetzt im Sinne einer tatsächlichen Zeitfalle wirkt. Die Interaktion mit Multi-Media „vereinnahmt“ in beträchtlichem Maß unsere alltäglichen Zeitressourcen. Die Folgen sind Stress und chronische Zeitnot.“

Opaschowski bleibt auch in Bezug auf die Digitalisierung optimistisch. Digitalisierung und Roboter werden den Menschen keinesfalls vollständig ersetzen, sondern ihn, wie schon bei der industriebedingten Automatisierung von schwerer und monotoner Arbeit, quasi optimal entlasten. Die Zukunft wird eher einer „Hand-in-Hand“-Kooperation gehören, bei der Roboter mit den Menschen zusammenarbeiten. Somit arbeitet Opaschowski eine weitere zentrale These heraus, dass nämlich davon auszugehen ist, dass in diesem Sinne ein Umdenken vom Warenwohlstand zum wahren Wohlstand in Gang kommen wird. Es geht ihm dabei also primär um eine Fokussierung auf drei wesentliche Begriffe, die das menschliche Leben universell definieren und determinieren: Wohlfühlen, Wohlbefinden und Wohlergehen.

Nachhaltiger Wohlstand sorgt für mehr Lebenszufriedenheit. Langfristig gesehen verändert sich damit auch das Statusdenken. Wohlhabend ist in Zukunft der, der mit sich und seinem Leben zufrieden ist, und nicht der, der sich immer mehr leisten kann. Und diese Erkenntnis wird sich durchsetzen: ein intensives Naturerleben ist wohltuender und intakte soziale Beziehungen sind beglückender als die Anhäufung materieller Güter. Das soziale Kapital garantiert mehr Lebensglück als das Einkommenskapital.

Solche klaren und optimistischen Aussagen von Horst Opaschowski machen insgesamt den Inhalt des Buches aus. Und ich wünsche mir, dass die Analysen und Prognosen des Verfassers stimmen, und dass jeder ein wenig dazu beitragen kann, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen einen positiven Verlauf nehmen. Dazu gibt Opaschowski mit diesem Buch wertvolle Anregungen.

Muhammet Mertek

 

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