Wo sind sie denn nur hin?

Die Musik der 1960-er, 1970-er, zum Teil der 1980-er und 1990-er Jahre – irgendwie war sie besser, als die heutige Musik. Neulich unterhielt ich mich noch mit einem Kollegen, dass es irgendwie traurig sei, dass die gegenwärtige Generation von Jugendlichen anfängt, die Musik zu hören, die ich früher im jugendlichen Alter hörte und von der sie sagt, dass diese viel besser sei als das, was die nunmehr eigene Generation heute so auf den Markt wirft.

Es hat demnach den Anschein, als könne sich die heutige Generation Jugendlicher nicht mehr mit dem sonst so allgegenwärtig wie über sämtliche gesellschaftlich-normativen Zweifel souverän erhaben erscheinenden Deutsch-Rap einerseits und andererseits weichgespült klingenden sogenannten Kuschel- oder Schmusepopschlagern in deutscher Sprache – wie etwa spürbar bei der Musik von Tim Bendzko, Revolverheld uvm. – identifizieren.

Politisch erscheinen gerade deren Texte auch schon lange nicht mehr an der Lebenswirklichkeit orientiert. Doch will ich mich nicht mit obgenannter Weichspülmusik quälen oder gar herumschlagen, sondern meinen Fokus auf eine gänzlich andere Szene legen:

Rap – und im Besonderen hier die aktuellen sowie zunehmend in den letzten Jahren populär gewordenen Ausprägungen des Genre Deutsch-Rap. Hier ist alles vertreten von frauenfeindlichen Texten über Gewaltverherrlichung in hochgradig kriminellen Millieus, aber auch das Anprangern von vornehmlich sozialen Missständen in der Gesellschaft und im Lebensumfeld Heranwachsender. Betrachtet man diese Szenen, so könnte man beinahe sagen, dass es hier politischer und gesellschaftskritischer zugeht, als im Bereich des sogenannten etablierten sozialen Mainstream.

Doch was mich tatsächlich wundert ist, dass dies bei den Jugendlichen so viel Anklang findet. Es wird über AK47, Glock und diverse Schusswaffen, über Gewalt, Drogen und Sex gesungen und schon die 12-jährigen Kids saugen diese zentral in den Songs formulierten sowie postulierten Botschaften begierig auf, identifizieren sich also mit dem „Gangsta“-Image im besten wie unreflektierten Sinne und eifern ihren Idolen begeistert und unbewusst zugleich nach. Oft geht dies mit Vorstellungen der Jugendlichen einher, welche den weiteren Lebensweg betreffen, die selbstverständlich jenseits von Gut und Böse sind. Die Rollenbilder des Genres Deutsch-Rap sind oft überzeichnet und klar verteilt. So sind nicht selten aus Kindermund geradezu obszön und im Sinne des Kinder- und Jugendschutzgesetzes zu indizierende Botschaften zu hören, wie eben diejenige aus einem einschlägig bekannten Song des Rappers Kool Savas:

“Bitch: Fresse! Bevor ich dir den Sack in den Mund presse!” Kool Savas 2000

Doch woher kommt es, dass so viele Kinder und Jugendliche sich damit identifizieren? Ist es die heimliche Sehnsucht nach „Mehr“? Nach Bedeutung, nach Abwechslung im tristen Alltag?

Wenn man sie – die Kinder und Jugendlichen – danach fragt, dann ist die Antwort oft sehr nüchtern: „Weil es halt cool ist!“

Was genau daran cool ist, konnte mir bisher auch niemand sagen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich dieser Art Musik nichts abgewinnen kann, oder vielleicht bin ich einfach zu alt dafür, wer weiß das schon? Was ich jedoch als besorgniserregend empfinde, ist, dass sich die jungen Zuhörer dieser Künstler oft nicht mit den Texten auseinandersetzen. Wenn man fragt, worum es in Lied XY eigentlich geht, dann kann das kaum jemand beantworten. Die Künstler selbst lassen oft verlauten, dass sie das, was sie texten und folglich rappen bzw. performen, nicht selbst praktizieren. Oft äußern sie sich dazu, dass es Wünsche sind, dass es einfach Einfälle sind, die sie so haben. Viele von ihnen führen ein relativ normales Leben, nur mit etwas mehr Geld in den Taschen, als der Ottonormalverbraucher.

Ich schätze, da liegt auch das Geheimnis des Zulaufs verborgen, damit verbunden die große Sehnsucht der Kinder und Jugendlichen, später mal reich und berühmt zu sein. Und wenn schon nicht berühmt, dann wenigstens reich: Einfach sorglos leben! Und oft suggerieren erfolgreiche Künstler der Rapszene, dass es einfach sei, auch ohne Schulkarriere im leistungsorientierten Einserbereich erfolgreich zu sein.

Ich glaube, dass das der Kernpunkt ist, dass Erfolg sich auch einstellen kann, wenn die Schule nicht geklappt hat. Und diese Message nehmen die jungen Fans mit und können sich damit identifizieren. Denn wer träumt nicht davon, trotz eher schlechter Grundvoraussetzungen in unserer Gesellschaft erfolgreich zu werden?

„Ist zur Schule geh’n nicht dein Ding? Nein?
Unser Schulsystem hat kein’n Sinn, ich weiß, also schmeiß hin!
Oder bleib drin, doch sei kein Feigling!
Denn, wenn du nur machst, was man dir sagt, wirst du´s nicht weit bring’n.
Ich hab ‘n Deal unterschrieben beim Maskenmann.
Ich kann nicht viel, doch er hat erkannt, was ich kann.
Er gab mir ein’n Vertrag, was hast du da getan?
Du hast grad’ geschafft, wozu der Staat nicht in der Lage war.
Gib mir ‘ne Perspektive, fördert doch mein Talent!
Ich bin im Klassenzimmer fast immer eingepennt.
Und die reden dann von fehlendem Respekt.
Doch uns fehlt ein Dreck, die lassen uns einfach häng’n.
Jungs, wie uns, die mein’n zu versteh’n,
Aber keiner dieser Lehrer konnte bei mir was dreh’n.
Ich hab nix bei euch gelernt, nix von Relevanz,
Bis auf, dass du ‘n F[…] drauf gibst, wenn du kannst  […]“

Sido  – Schule
(Album Ich und meine Maske, 2008)

Ich finde das nur allzu verständlich und vielleicht auch ein kleines bisschen nachvollziehbar…

Vorheriger ArtikelDie Suche nach Demokratie!
Nächster ArtikelMit Musik (auf-)wachsen